Fallbeispiel in Sachen Phobien: Schmetterlingsphobie, Entstehungsgeschichte und Chancen auf Heilung

by Udo Unruh on 8. November 2011

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Tierphobien sind weit verbreitet, allerdings kann ich von meiner wohl behaupten, dass sie eher zu den seltenen gehört: Mein Problem sind Schmetterlinge. Ich gerate in Panik, sobald ich sie sehe oder ihr Flattern höre. Dabei bin ich eigentlich sehr tierlieb, bin mit einem großen Garten aufgewachsen und habe soweit ich mich erinnere im Kindergartenalter diese angeblich so liebreizenden Insekten sogar anfassen können.

Irgendwann kam dann aber diese extreme Angst auf, die sich anfangs nicht nur auf Schmetterlinge beschränkte. Alles was “Augenmuster” hatte, wurde zum Problem: Pfauenfedern, das bemalte Porzelan meiner Großmutter, unser Küchentisch mit ausgeprägter Holzmaserung und sogar das Kinderbuch vom kleinen Wassermann (weil ein “Neunauge” darin vorkam).

Ich war so panisch, dass meine Mutter den Tisch zugedeckt und die Stelle mit dem Neunauge im Buch zensiert hat. Es hat Jahre gedauert, bis ich zumindest begriffen hatte, dass man vor leblosen Objekten keine Angst haben muss.

Eigentlich war ich dann ein völlig normales Kind. Ich war nie übertrieben ängstlich oder hatte andere psychischen Probleme. Allerdings hatte ich selbst im Alter von 12 Jahren noch diese unerklärliche Angst vor Schmetterlingen, die einfach nicht weg gehen wollte. Mein Vater war nicht sonderlich feinfühlig und zwang mich während eines Urlaubs dazu, einen Strand zu besuchen, an dem es vor Pfauenaugen nur so wimmelte. Dieses Erlebnis kann ich rückblickend nur als traumatisierend beschreiben…

Ich heulte die ganze Zeit, und danach war die Phobie verständlicherweise nicht besser, sondern eher noch schlimmer geworden. Und ich hatte absolut keine Lust mehr auf eine Konfrontation mit diesen Tieren. Die nächsten 15 Jahre blieb die Lage unverändert: Hörte ich ein Flattern oder sah einen Schatten an der Wand, bekam ich Herzrasen, Schweißausbrüche, sprang auf und flüchtete zur Tür oder kauerte mich in eine Ecke. Selbst unter anderen Menschen konnte ich mich nicht gut zusammenreißen. Mein Glück war nur, dass bunte Schmetterlinge in der Großstadt nicht sehr verbreitet sind. Um Zitronenfalter konnte ich zumindest einen Bogen machen ohne in Panik zu geraten, wahrscheinlich weil ihnen das dunkle Augenmuster fehlte.

Schmetterlinge tun einem nichts, das weiß ich natürlich. Deshalb ist es schwer anderen verständlich zu machen, was mein Problem ist. Wenn ich einen Schmetterling sehe, dann fühle ich mich, als müsste ich mir ein wirklich ekelhaftes Bild voller Eingeweide und Maden ansehen. Sie sind für mich nicht schön, sondern abstoßend, weil man Gehirn wohl irgendwann einmal etwas negatives mit diesen Tieren verknüpft hat. Und ich habe Angst, dass sie mir ins Gesicht fliegen, was sich ja leider nicht komplett ausschließen lässt.
Ich habe lange darüber nachgedacht, wo die Phobie wohl hergekommen ist, und inzwischen glaube ich, dass eine Augen-Operation Schuld war, die ich mit 5 Jahren hatte.

Ich erinnere mich zwar kaum daran, aber vielleicht kam dadurch unbewusst die Angst vor Augen zu Stande – wenn auch nur vor unechten. Etwa zur selben Zeit hatte ich in unserem Haus auf einer Fensterbank mehrere halb zerfallene, tote Schmetterlinge gefunden, was möglicherweise auch ein Auslöser gewesen sein kann. Ich werde es wohl nie erfahren.

Letztes Jahr beschloss ich dann, mich meiner merkwürdigen Phobie zu stellen. Ich hatte die Schnauze voll davon, bei Filmen ausschalten zu müssen, in denen Schmetterlinge oder Motten vorkamen. Und auch wenn wir hier in der Wohnung nie richtige Schmetterlinge hatten, so kam es doch manchmal vor, dass sich eine Motte hier her verirrte… mein Mann hatte Angst, dass ich dann in Panik die Treppe runterfallen könnte. Und immer wieder hatte ich furchtbare Alpträume von Schmetterlingen, aus denen ich schreiend aufwachte.

Ich besuchte also einige Monate lang einen Psychologen, der Erfahrungen mit der Behandlung von Phobien hatte. Ich war sein erster Fall mit Schmetterlingen, aber die Vorgehensweise ist ja immer die selbe. Zuerst redeten wir nur und er erklärte mir genau die verschiedenen Ansätze und wie wir vorgehen würden. Wir versuchten es mit einer “sanfteren” Methode ohne direkte Konfrontation, die aber bei mir leider nicht zum gewünschten Erfolg führte. Also doch die klassische Konfrontationstherapie.

Da wir keinen echten Schmetterling hatten und ich auf Bilder genau so stark reagierte wie auf lebende, arbeiteten wir mit großformatig ausgedruckten Fotos. Mein Mann hatte mir Nahaufnahmen verschiedener Schmetterlingsarten aus dem Internet zusammengesucht und nach “Angstfaktor” sortiert. Das harmloseste Bild war ein Zitronenfalter, die schlimmsten ein Tagpfauenauge und die größte Schmetterlingsgattung der Welt. Die Konfrontation lief dann so ab, dass mir mein Psychologe die Bilder nacheinander zeigte.

Ich sollte nicht weg sehen, sondern sie so lange anstarren, bis die Angst von selber verschwindet. Man kann nicht endlos Angst haben und der Sinn der Konfrontation ist es, den Level zu erreichen, an dem es nicht schlimmer geht. Man merkt dann, wie man langsam ruhiger wird, obwohl das Tier (oder das Bild) immer noch da ist. Daraus lernt der Körper, dass die Panik unbegründet ist. Wichtig ist nur, dass man nicht abbricht, bevor die Angst von selber nachgelassen hat.

Mit den Fotos klappte es gut, ich war sehr erstaunt. Nach einer Stunde war ich zwar so erschöpft, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir, aber ich konnte mir selbst die furchtbarsten Bilder alleine ansehen. Vorher wäre das für mich unvorstellbar gewesen.

Der nächste Schritt bestand darin, mich an das Flattern zu gewöhnen. Meine Angst kam zwar ursprünglich von den Augenmustern, aber im Laufe der Jahre hatte sie sich auf das Flattern ausgeweitet. Hierbei half mir ein Scherzartikel: Ein sich sehr realistisch bewegender künstlicher Schmetterling im Glas. Die Vorgehensweise war die selbe wie bei den Fotos: Hinsehen ohne sich wegzudrehen. So lange, bis ich ganz ruhig war.

Durch diese Konfrontationstherapie habe ich die Phobie so weit unter Kontrolle, dass ich nicht mehr bei Filmen oder Fotos in Panik gerate, die Schmetterlinge zeigen. Und eine kleine Motte in der Wohnung macht mir nichts mehr aus. Das ist ein enormer Erfolg für mich! Leider blieb aber das Hauptproblem bestehen, denn sobald ich in freier Natur einem Pfauenauge begegne, ist die alte Angst wieder da. Um sie loszuwerden, müsste ich am lebenden Objekt üben, was allerdings sehr schwierig ist. Dafür muss man erst einmal einen passenden Schmetterling fangen, und da sie hier sehr selten sind, hat das bisher nicht geklappt. Außerdem bin ich bei aller Abneigung kein Tierquäler. Also muss ich abwarten, ob sich irgendwann die Gelegenheit ergibt, meine Angst komplett los zu werden.

Vielleicht hat meine Geschichte ja denen ein bisschen Mut gemacht, die ebenfalls Angst vor etwas haben, was auf Außenstehende völlig harmlos wirkt :) .

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Karin November 14, 2011 um 22:50

Danke, das ist ein schöner und sensibler Beitrag. Ich habe selbst eine Schmetterlingsphopie – nicht ganz so schlimm – und weiss auch woher.
Als Kind habe ich Gruselkrimis gelesen und einer handelte von mutierten Schmetterlingen. Nachts bin ich wach geworden von einem Flügelschlag in meinem Gesicht und habe voller Panik festgestellt, dass ein dicker schwarzer Nachtfalter in meinem Bett war. Seitdem habe ich diese Phopie. Ich habe Katzen, die gerne meine Falter fangen und ich bin darüber nicht unglücklich weil ich sonst den Raum verlassen und später aus Verzweiflung mit dem Staubsauger zurückkehren würde. Ich liebe Tiere und das tut mir selbst leid. Zumindest kann ich auch mit Bläulingen und Zitronenfaltern (bis zu einer gewissen Grösse, daher auch Motten) einigermassen umgehen. Aber dunkel und vielleicht noch rote Augen, geht garnicht.

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